Überspringen zu Hauptinhalt

Panta rhei

Gastbeitrag von Joachim Graf

Nein, wir leben nicht in einer Zeit des Informations-Overloads. Das eigentliche Problem ist ein ganz anderes. Aber zum Glück ist ein Kraut dagegen gewachsen.

„Um Gottes Willen, ich muss ohnehin schon so viel lesen.“ Das ist gemeinhin das Argument, mit dem Publisher und Verleger, Buchautoren und Strategiepapierautoren zu kämpfen haben, wenn sie ein neues Stückchen Content an ihre Zielgruppe bringen wollen. Hinter diesem Stoßseufzer verbirgt sich die feste Überzeugung, dass wir in einer Zeit des Informations-Overloads leben. Nichts könnte falscher sein.

Informations-Overload, das würde ja bedeuten, dass es zu viele Informationen gibt, zu viele In-Formationen von existierenden Daten, zu viele Alternativen, sich Wissen zugänglich zu machen. Das meint vermutlich niemand. Die Overload-Stöhner meinen:

  • Entweder, dass sie persönlich nicht in der Lage sind, sich die passenden Datenstrukturen auszuwählen, die adäquate Art der Informationsdarstellung auszuwählen, die richtige Struktur zu definieren. Kurz: Sie beklagen sich darüber, dass ihre eigenen Informationsverarbeitungsstrukturen verkehrt sind.
  • Oder sie meinen, dass zu viele neue Informationen gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit verlangen.

Gegen die eine Sorte von Aktualitäts-Overload ist tatsächlich nur das Kraut „Beschränkung“ gewachsen: gegen die eigentliche Crux, den Kommunikations-Overload. Denn das ist eigentlich kein Internetproblem, sondern wird durch das Web nur verschärft. Weil alle Menschen Sender sein können und diese Funktion auch weidlich nutzen, per E-Mail und Telefon, per Onlinebenachrichtigung und Handy, entsteht eine Fülle von Kommunikationsanfragen, die alle Kanäle verstopfen. Twitter beispielsweise ist kein Problem des Informations-, sondern eines des Kommunikations-Overkills.

Die andere Sorte des Aktualitäts-Overloads verändert gerade die Mediennutzung insgesamt. Immer weniger Internetnutzer versuchen, sich auf dem aktuellsten Stand ihres Interessengebiets zu halten, indem sie möglichst viele Quellen nutzen. Statt dessen setzen sie darauf, dass sich die Medien wie auch die Nutzer im Internet zunehmend vernetzen. Was wirklich wichtig ist, so ihr Kalkül, kommt im endlosen Informationsstrom des Internets schon noch einmal vorbei. Panta rhei – alles fließt – ist die Informationsstrategie, die vor allem die hochkommunikativen Netizens verwenden.

Sie geht davon aus, dass sich Blogs und Magazine, Webangebote und Aggregatoren aufeinander beziehen, aktuelle Geschichten aufgreifen und in der einen oder anderen Form wiedergeben. Taucht also irgendwo in der Nachrichtenflussmitte ein interessantes Stückchen Informationstreibgut auf, ist die tiefergehende Recherche ja nur einen Mausklick entfernt.

Das spart für die Nutzer enormen Rechercheaufwand. Für die Redaktionen kann diese neue Mediennutzungsart zur Existenzberechtigung werden, wenn diese Funktion langfristig nicht individualisierbare Aggregations-Sites übernehmen. Aber automatisch aggregieren – das können Redaktionen auch.


Joachim GrafJoachim Graf ist Herausgeber, Publisher, Zukunftsforscher und Future Evangelist für Kommunikations- und Medienkonvergenz. Seit 1991 bietet er mit dem HighText Verlag „iBusiness“ ein Trend- und Wissensportal für Medienkonvergenz sowie einen Presseversandservice an. Neben zahlreichen Seminaren, Vorträgen und Keynotes ist er auch Lehrbeauftragter an der FH Offenburg, der FHM Bielefeld und der Universität Innsbruck. Besonders engagiert er sich für die Vernetzung der afrikanischen und europäischen IT-Industrie mit dem Projekt Open Source Africa.

Dieser Beitrag hat 0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

An den Anfang scrollen